Archivmeldung der Rathauskorrespondenz vom 22.10.2002

Utl.: Ein keimfreies Zuhause schadet der Gesundheit, besonders der von Kindern

Wien (RK). Nach dem Motto "Alles garantiert keimfrei" wird zur Zeit dafür geworben, Kinderspielzeug, Geschirr und Kleidung, Badezimmer und Küche regelmäßig mit Desinfektionsmitteln einzusprühen. "Da wird wieder einmal mehr versucht, mit Panikmache Geld zu verdienen", meint DI Marion Jaros von der Wiener Umweltanwaltschaft, die sich seit Jahren mit den Auswirkungen von Desinfektionsmitteln auf Umwelt und Gesundheit beschäftigt. Ist nur zu hoffen, dass das Versprechen der Werbung nicht stimmt. Denn gerade das Immunsystem von Kindern braucht den täglichen Kontakt mit Keimen. Übertriebene Hygiene hingegen schwächt die Abwehr und fördert Hautkrankheiten sowie Allergien. Eine ständig wachsende Anzahl von Studien beweist dies. "Desinfektionsmittel haben im Haushalt nichts verloren", betonen führende Institutionen der Ärzteschaft, Hygiene und Wissenschaft, sowie des Konsumenten- und Umweltschutzes.****

"Wenn Tierfütterungsversuche mit einem Desinfektionsmittel zeigen, dass es akut nur schwach giftig ist, hat das wenig Aussagekraft. Längst nicht alle gesundheitlichen Auswirkungen, die durch den Kontakt mit Desinfektionsmitteln auftreten können, werden im Rahmen einer Zulassung untersucht. Eines steht jedoch fest: Ein Mittel, das alles keimfrei macht, kann nicht völlig unschädlich für Mensch und Tier sein. Denn Menschen und Tiere leben in einer wechselseitigen Abhängigkeit mit diesen Kleinlebewesen, welche von der Werbung völlig übertrieben zum Feindbild erklärt werden", so Jaros.

Zwtl.: Bakterien sind lebensnotwendig für Mensch und Haustier

Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Renée Schroeder von der Universität Wien setzt fort: "Im menschlichen Körper leben 10 mal mehr Bakterien als eigene Körperzellen. Bakterien schützen die Haut vor Krankheiten und helfen bei der Verdauung. Sie sind für die Gesundheit und Existenz lebensnotwendig." Nur ein winziger Bruchteil der Bakterien gehört zu den Krankheitserregern, und selbst diese müssen regelmäßig in geringen Dosen aufgenommen werden, um das Immunsystem fit zu halten.

Zwtl.: Keimfreiheit fördert Allergien

"Durch das Leben in einer bakterienfreien Umgebung, würde das Immunsystem beginnen, sich mit völlig ungefährlichen Stoffen zu beschäftigen. Das Ergebnis sind Allergien," ergänzt Schroeder.

Das zeigt z.B. eine kürzlich fertig gestellte Studie über Bakterienbestandteile und Allergien bei Bauernkindern. "Diese zeigt, dass das Immunsystem durch den häufigen Kontakt mit Keimen toleranter wird. Dadurch kommt es seltener zur Ausbildung von Allergien," sagt Dr. med. Peter Wallner von "Ärzte und Ärztinnen für eine gesunde Umwelt.

DI Dr. med. H.-P. Hutter vom Institut für Umwelthygiene der Universität Wien ergänzt: "Der unüberlegte Einsatz von Desinfektionsmitteln im Haushalt ist bestenfalls wirkungslos, schlimmstenfalls mit diversen Nebenwirkungen und Gefahren behaftet. So sind die Folgen einer Störung der natürlichen Hautflora des Menschen durch wiederholten Kontakt mit "antibakteriellen" Reinigungs- und Waschmitteln derzeit nicht absehbar. Außerdem werden bei deren Anwendung Schadstoffe zum Beispiel mit allergenem Potential freigesetzt, die eine zusätzliche Quelle für Belastungen der Innenraumluft darstellen. Die Anwendung sanfter Wasch- und Reinigungsmittel ist völlig ausreichend, um sich zu Hause vor Infektionen mit Krankheitserregern zu schützen."

Zwtl.: Desinfektionsmittel sind auch eine Gefahr für die Umwelt

Desinfektionsmittel töten Krankheitserreger nicht spezifisch. Sie sind giftig für ein sehr breites Spektrum an Mikro- und Wasserorganismen. Gelangen sie nach ihrem Gebrauch ins Abwasser, stellen sie eine Belastung für Kläranlagen dar, deren Leistungsfähigkeit auf dem Zusammenwirken verschiedenster Bakterien beruht.

"Bei dem Wirkstoff, der in einem aktuell massiv beworbenen Produkt enthalten ist, kann man nur hoffen, dass er in der Kläranlage rasch und umfassend inaktiviert wird. Wie die Herstellerfirma selbst einräumt, besitzt dieser Stoff fischtoxische Eigenschaften und ist biologisch schlecht abbaubar." gibt Stoffexperte Dr. Manfred Klade vom Interuniversitäten Forschungszentrum für Arbeit, Technik und Kultur (IFZ) zu bedenken.

Ein Anstieg desinfizierender Stoffe im Abwasser führt durch Abtötung und Hemmung empfindlicher Bakterien zu einer Abnahme der biologischen Reinigungsleistung der Kläranlage. Eine Abnahme der Leistungsfähigkeit begünstigt gleichzeitig den Eintrag desinfizierender Wirksubstanzen in natürliche Oberflächengewässer wie Flüsse und Seen, wodurch Krebstiere und Fische geschädigt werden können. Dazu meint Dr. Karin Büchl-Krammerstätter, Leiterin der Umweltschutzabteilung der Stadt Wien: "Wenn man bedenkt, dass in Österreich pro Jahr 120.000 Tonnen Wasch- und Reinigungsmittel verbraucht werden - das entspricht einem pro Kopf Verbrauch von etwa 15 kg - wird deutlich, dass auch schon der teilweise Ersatz von herkömmlichen Reinigungsprodukten durch solche mit desinfizierenden Zusätzen eine ernstzunehmende Umweltbelastung darstellt."

Zwtl.: Vorgangsweise in Krankenhäusern

"Desinfektion hat grundsätzlich nichts im Haushalt zu suchen, sondern hat ihren Platz für eng definierte Aufgaben in Krankenhäusern und Ordinationen, wo sie unter fachlicher Kontrolle höchst wirksam ist", erläutert Prof. Ing. Bruno Klausbruckner, Wiener Krankenanstaltenverbund. Die zur Erzielung einer Desinfektion verwendeten Wirkstoffe können die Gesundheit des Menschen sehr wohl beeinträchtigen. So registriert die AUVA in Österreich jedes Jahr Neuerkrankungen von Personen aus dem Gesundheitsdienst an schwer heilbaren Hautekzemen, welche nachweislich durch den regelmäßigen Umgang mit Desinfektionsmitteln ausgelöst wurden. Weil der Einsatz von Desinfektionsmitteln für den Menschen selbst nicht unbedenklich ist und auch um die Umwelt zu entlasten, bemüht man sich in den Krankenhäusern, die Anwendung dieser Mittel auf das unbedingt notwendige Maß zu reduzieren. Die Anwendung erfolgt nur über Anweisung von Hygienefachkräften. "Dabei wird besonders darauf geachtet, dass die Bestimmungen des Arbeitnehmerschutzes lückenlos eingehalten werden" betont Klausbruckner.

Zwtl.: Desinfektionsmittel stellen eine enorme Unfallgefahr im Haushalt dar

Der Verein für Konsumenteninformation und internationale Verbraucher-Organisationen konnten feststellen, dass Haushaltsreiniger mit bakterientötenden Wirkstoffen und vor allem die Werbung hierfür lediglich auf vermeintliche Hygieneprobleme abzielen, während tatsächliche Risken unberührt bleiben und verschleiert werden. Überdies stellen solche "Hygienereiniger" und ein vermehrter unkritischer Einsatz von Chemikalien ein zusätzliches Risiko im Bezug auf die Unfallgefahr im Haushalt dar. Mängel bei Lagerung, Anwendung und Entsorgung bergen ein beträchtliches Risikopotential für Kleinkinder und AnwenderInnen. Im Zusammenhang mit hypochlorithaltigen Reinigungsmittel (Chlorreinigern) ist ein besonderes Unfall- und Vergiftungsrisiko durch chemische Reaktionen mit Bestandteilen anderer Reinigungsmittel evident. "So kann es beim Kontakt mit ammoniakhaltigen Reinigern zur Entwicklung gefährlicher Dämpfe kommen, mit Säuren (saure Sanitär- und WC-Reiniger) kommt es zur Entwicklung von giftigem Chlorgas", erklärt Thomas Tobisch vom Verein für Konsumenteninformation.

Zwtl.: Hygienemaßnahmen als Schutz vor Krankheitskeimen

"Das Bad sollte gut gelüftet werden, da hohe Keimzahlen und Schimmelbefall durch Feuchtigkeit begünstigt werden. Ein weiterer sensibler Bereich im Privathaushalt ist die Küche. Rohes Fleisch, insbesondere Geflügel und rohe Eier sollten getrennt von anderen Lebensmitteln gelagert und verarbeitet werden. Auf Geschirr- und Schwammtüchern sind laut Untersuchungen die höchsten Bakteriendichten zu finden. Daher ist es wichtig, diese häufig zu waschen und zu wechseln. Beachtet man diese einfachen Hygienemaßnahmen, erhält man ausreichend Schutz vor der Übertragung von möglichen Krankheitserregern, und eine Verwendung irgendwelcher antibakterieller Reinigungsmittel ist völlig übertrieben, unnötig und sogar gefährlich", rät Dr. Susanna Stark, "die umweltberatung" .

Zwtl.: Gesetzliche Vorgaben

Vor dem Hintergrund des Vorsorgeprinzips wurde vom österreichischen Gesetzgeber das Biozid-Produkte-Gesetz (BGBl I Nr. 105/2000) erlassen, das mit 1. Oktober 2000 in Kraft getreten ist. Neben diversen Schädlingsbekämpfungsmitteln fallen auch als desinfizierend ausgewiesene Wasch- und Reinigungsmittel unter das Biozid-Produkte-Gesetz. In §26 ist z.B. fest gelegt, dass bei jeglicher Werbung für Biozid-Produkte die Sätze "Biozide sicher verwenden. Vor Gebrauch stets Kennzeichnung und Produktinformation lesen" aufzuscheinen haben, wobei das Wort "Biozid" durch "Desinfektionsmittel" ersetzt werden darf. Diese Regelung gilt ohne Übergangsfrist, und somit müsste dieser Zusatz in der Werbung für solche Produkte vorkommen.

Zwtl.: Appelle der ExpertInnen an BürgerInnen und die Industrie

  • "Antibakterielle" Reinigungsmittel sind im Haushalt unnötig.
  • Zuerst informieren, dann konsumieren. KonsumentInnen sollten
    sich und ihre Kinder vor Gesundheitsrisiken durch nutzlosen
    Chemikalieneinsatz in ihrer Wohnung schützen.
  • Die Industrie muss sich ihrer Verantwortung den KonsumentInnen
    und der Umwelt gegenüber bewusst werden.

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