Bevor ein neues Stadtviertel entsteht, ist eine Fläche oft jahrelang ungenutzt und abgesperrt. Für Anwohner*innen bedeutet das nicht nur eine Lücke im Stadtbild, sondern oft auch weniger Aufenthaltsmöglichkeiten und bei starker Versiegelung eine zusätzliche Hitzebelastung.
Gleichzeitig sind große Stadtteilentwicklungsprojekte trotz überwiegend langfristig positiver Veränderungen mit Skepsis verbunden, da eine starke räumliche Transformation stattfindet und in der Bauphase Lärm- und Staubbelastung anfallen. Die vorgesehenen Grün- und Freiflächen in solchen Projekten werden häufig erst am Ende der Entwicklung fertiggestellt. Das hat zur Folge, dass neue Bäume und Pflanzen erst wachsen müssen bis sie ihre volle Wirkung entfalten – und das kann Jahre oder sogar Jahrzehnte dauern. Gerade in Zeiten des Klimawandels, in denen Schatten und kühlende Grünflächen dringend gebraucht werden, ist das eine große Herausforderung.
Hier setzt das Konzept des „frühen Grüns" an. Es sorgt dafür, dass Grünflächen nicht erst nach Abschluss der Bauarbeiten entstehen, sondern bereits während der Entwicklung nutzbar sind. Dazu gehören unter anderem Baumpflanzungen, Anlegen von Wasserflächen oder Zwischennutzungen wie Gemeinschaftsgärten. Solche Maßnahmen machen das Gebiet von Anfang an attraktiver, verbessern das Stadtklima und fördern die Akzeptanz neuer Stadtquartiere. Folglich hat sich die Stadt Wien die Etablierung des frühen Grüns im „Wiener Klimafahrplan“ und im „Fachkonzept Grün- und Freiraum“ selbst zum Ziel gesetzt.
Was kann frühes Grün bewirken?
Die Herstellung eines frühen Grüns kann viele Vorteile für Anrainer*innen, künftige Bewohner*innen als auch für Projektentwickler*innen mit sich bringen. Allem voran bringt das frühe Grün, dass die ausgestalteten Grünräume bereits bei Baufertigstellung eine deutlich höhere Qualität besitzen. Die gefestigte Vegetation und Entwicklung der Bäume führt zu „tauglichen“ Grün- und Freiräumen. Die mehrjährige Anwuchs-Phase der Bäume ist bei Fertigstellung der Gebäude bereits erfolgt. Eine bessere Baum- und somit Verschattungsqualität ist bereits vorhanden, sobald die ersten Bewohner*innen einziehen. Auch die Artenvielfalt kann erhöht werden, wenn möglichst früh Grünstrukturen geschaffen werden und als Lebensräume für Tiere und Pflanzen zur Verfügung stehen.
Jedoch muss eine komplett fertige Ausgestaltung der Grün- und Freiräume nicht immer das Ziel sein. Nutzungsoffene Räume die durch Bürger*innen zwischengenutzt werden bieten Experimentiermöglichkeiten wie diese Flächen weiter genutzt werden können und möglicherweise auch in eine dauerhafte Nutzung übergehen können. Doch auch andere Formen von Zwischennutzungen wie kulturelle Veranstaltungen und Sportaktivitäten können als Maßnahme des frühen Grüns umgesetzt werden. Ein positiver Nebeneffekt ist, dass eine Bespielung und Gestaltung dieser Flächen auch zu einer Reduktion von Vandalismus führen kann.
Des Weiteren kann die Implementierung von frühen Grün auch zu einer besseren Vermittlung des Stadtentwicklungsprojektes beitragen, denn großflächige Planungen von Stadtteilentwicklungen sind oftmals schwer in ihrer räumlichen Dimension zu erfassen. Die Abbildung der künftigen Baufelder und Freiräume mittels unterschiedlicher Begrünungen kann hier Abhilfe schaffen und die Kommunikation vor Ort erleichtern sowie zu einer positiven Darstellung des Gesamtprojektes beitragen.
Insgesamt schaffen Frühes-Grün-Maßnahmen ein besseres Image für das Projekt, da die Wichtigkeit der Begrünung von Beginn an kommuniziert und der Charakter und die Qualität des späteren Viertels bereits vor Baubeginn und Vergabe ersichtlich gemacht wird. Somit können sich künftige Bewohner*innen bereits bei der Standortwahl ein besseres Bild des späteren Viertels machen.
Mögliche Maßnahmen im Sinne des „Frühen Grüns“
Grundsätzlich können im Rahmen des frühen Grüns eine Vielzahl an Maßnahmen gesetzt werden, die unterschiedliche Nutzen bringen:
- Aufbau von Grünräumen mit Baumpflanzungen und Wasserflächen die der umliegenden Nachbarschaft und den künftigen Bewohner*innen dienen und zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Projekts ihre Anwuchsphase bereits überstanden haben
- Frühzeitige Integration von grünen Infrastrukturen für Freizeit und Erholung mit Spielplätzen und Sportangeboten und Fuß- und Radwegverbindungen. Doch auch Gemeinschaftsgärten sind im Rahmen der Herstellung eines frühen Grüns eine willkommene Maßnahme um für die Anrainer*innen eine Nutzung und Aneignung dieser Flächen zu ermöglichen.
- Frühzeitige Schaffung von Grün- und Freiflächen als Veranstaltungsort für Beteiligungs- und Informationsveranstaltungen im Zuge des Entwicklungsprozesses oder auch für kulturelle Veranstaltungen.
- Darstellung der Baufelder des künftigen Projektes mittels unterschiedlichen Bepflanzungen
- Landschaftsarchitektonische Interventionen mittels künstlerischer Ausgestaltung die einen Mehrwert für die Bevölkerung und das Image des Projektes haben
- Anlegen von Lärmschutzwällen für eine frühzeitige Abschirmung von lauten Straßen oder Bahnstrecken und eine interessante Gestaltung der Freiflächen herbeizuführen.
- Landwirtschaftliche Nutzungen
Internationales Beispiel Paris: Stadtentwicklungsgebiet Clichy-Batignolles
Das Stadtentwicklungsgebiet sticht durch seinen ökologischen Ansatz in der Stadtplanung heraus. Das ehemals als Güterbahnhof genutzte Gelände hat durch eine umfassende Transformation als gemischt genutztes Quartier einen neuen Impuls für das 17. Arrondissement in Paris gesetzt.
Bereits in der frühen Planungsphase stand die ökologische Gestaltung des Quartiers im Fokus. Herzstück des Gebiets ist der Parc Martin Luther King, ein 10 Hektar großer Stadtpark, der bereits in zu Beginn der Entwicklung im Jahr 2007 teilweise eröffnet wurde. Der Park bietet nicht nur Erholungsraum für die Bewohner*innen, sondern dient auch als grünes Rückgrat des Viertels mit über 500 Pflanzenarten. Neben Grünflächen mit Urban-Gardening-Bereichen für die Bewohner*innen, sowie Freizeitangeboten wie Spiel- und Sportplätzen, findet sich hier auch ein angelegter Teich, der von dichter Uferbepflanzung umgeben ist. Aufgrund der frühen Fertigstellung des Parks ist eine bereits gut gediehene Vegetation mit groß gewachsenen Bäumen zu erkennen, die einen wichtigen Beitrag zum Mikroklima und der Klimawandelanpassung leistet Die Projektwebsite zeigt eindrucksvoll den Vorher-Nachher Vergleich).
Beispiel aus der Wiener Stadtentwicklung: Seestadt
Die Seestadt als prominentestes Projekt der Wiener Stadtentwicklung hat ebenfalls unterschiedliche Methoden des frühen Grüns angewandt. Schon zu Beginn der ersten Bauphase wurde für eine bessere Visualisierung der Baufelder und des öffentlichen Raums unterschiedliche Formen der Begrünung angewandt. Zudem wurde frühzeitig ein temporärer Baumhain für die künftigen Seestädter Stadtbäume angelegt. Die Bäume wurden für die spätere Nutzung im Stadtentwicklungsgebiet vorgezogen, bis sie dann an einen Standort in der Nähe ihren finalen Platz erhalten haben. Der zentrale und namensgebende „Asperner See“ samt Seepark wurde angelegt, bevor die ersten Bewohner*innen einzogen. Somit konnte hier frühzeitig ein Erholungsgebiet mit Bademöglichkeit für die umliegende Nachbarschaft entwickelt werden. Gleichzeitig wurde ein Orientierungspunkt geschaffen mit dem auch die Dimension des Projektes vermittelt werden konnte.
Fazit
Wie die Beispiele zeigen, gibt es unterschiedliche Maßnahmen, die im Rahmen einer frühen Grünraumentwicklung angewandt werden können. Für Anwohner*innen hat frühes Grün den Vorteil, dass sie frühzeitig qualitativ hochwertige Grünräume nutzen können. Die Strukturen und Lebensräume schaffen einen Platz für Artenvielfalt. Die Verwaltung und auch die Projektentwickler*innen können ebenfalls Mehrwerte daraus schöpfen, weil das frühe Grün eine vielversprechende Vermarktungsmethode darstellt sowie einen Imagegewinn erzielen kann. Vor allem in Zeiten des Klimawandels kommt der frühzeitigen Etablierung grüner Infrastrukturen eine immer wichtigere Bedeutung zu, da so ein vorausschauender Beitrag zum Mikroklima und folglich zur Lebensqualität der Bewohner*innen in neuen Stadtentwicklungsgebieten geleistet werden kann.
Weiterführende Informationen:
DAB online – Öko-Quartiere für Paris (2020)
Projektwebsite Clichy-Batignolles
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© Foto 2: Aspern-Seestadt.at