WUA fordert, die schädlichsten Produkte aus den Regalen zu nehmen
Häufige Schlagzeilen über multiresistente Krankheitserreger in unseren Spitälern und über besonders gefährliche Infektionen wie Ebola, Grippe-Epidemien oder SARS haben in den letzten Jahren auch im Haushalt das Hygienebedürfnis erhöht. Wirtschaft und Handel stellen für besorgte Bürgerinnen und Bürger ein immer breiteres Angebot an antibakteriellen Haushaltsprodukten in die Verkaufsregale. Um deren Verkaufszahlen zu heben, schüren produktspezifische Werbespots zusätzlich die Angst vor gefährlichen Keimen im Haushaltsbereich.
Im Auftrag der WUA wurde die aktuelle Produktpalette für den Privathaushalt genauer unter die Lupe genommen. Untersucht wurde das in Super- und Drogeriemärkten vorgefundene Sortiment an Allzweckreinigern, Reinigungstüchern und -schwämmen, Gelen, Seifen und Sprays sowie Wasch- und Spülmitteln, bei denen die Hersteller ausdrücklich eine desinfizierende Wirkung versprechen. Dies können die Konsumentinnen und Konsumenten an Beschreibungen auf dem Etikett erkennen, wie z. B. „antibakteriell“, „desinfizierend“, „beseitigt 99,99 % der Bakterien“ sowie „beseitigt Pilze, Schimmel, Algen oder Viren“.
Für 78 solcher Produkte wurden ihre antibakteriellen Inhaltsstoffe identifiziert und auf die Folgewirkungen für Gesundheit und Umwelt analysiert. Die Stoffe wurden anhand der aktuellen Datensätze über die Giftigkeit der eingesetzten Chemikalien bewertet, welche die Europäische Chemikalienagentur laufend publiziert (siehe https://echa.europa.eu/de/).
Studienautor Dr. Manfred Klade kam als international tätiger Experte für die toxikologische Desinfektionsmittel-Bewertung zu folgenden Schlussfolgerungen: „Bei antibakteriellen Inhaltsstoffen wie organische Säuren, Alkoholen und Peroxiden – besser bekannt als aktive Sauerstoffverbindungen – ist lediglich wegen ihrer reizenden oder ätzenden Wirkung für Haut und Augen Vorsicht geboten. Hier empfehlen sich die Vermeidung von Spritzern und das Tragen von Handschuhen. Umweltrisiken sind aufgrund ihrer leichten biologischen Abbaubarkeit eher gering.“
Keine routinemäßige Desinfektion im Haushalt
Hygiene-Expert/innen stellen jedoch regelmäßig klar, dass routinemäßige Desinfektionsmaßnahmen im Haushalt der Gesundheit mehr schaden als nutzen. Ihr Einsatz macht nur in ganz spezifischen Situationen Sinn, etwa wenn ein Familienmitglied an einer hochansteckenden Krankheit leidet oder bei Personen mit stark geschwächtem Immunsystem, z. B. in Folge einer Chemotherapie.
In diesen Fällen wird jedoch die Rücksprache mit der Ärztin/dem Arzt empfohlen, da die Wirksamkeit von Haushaltsprodukten keiner unabhängigen Prüfung unterzogen wird, wie das im Spitalsbereich Standard ist. Zudem fehlt den Bürgerinnen und Bürgern zumeist das Fachwissen, gegen welche Bakterien, Viren oder Pilze sie sich schützen sollen und welche Produkte den erforderlichen Schutz auch gewährleisten. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit einer unwirksamen und/oder unnötigen Anwendung.
Letzteres fördert zusammen mit dem Eintrag in unsere Kläranlagen und Gewässer die Ausbildung von resistenten Keimen im Haushalt und der Umwelt, welche Desinfektionsmaßnahmen im Krankenhaus zunehmend unwirksam machen könnten.
Ungesund für Mensch und Umwelt
Insbesondere drei antimikrobielle Wirkstoffe haben sich laut Dr. Klade als besonders problematisch herausgestellt.
Silberhaltige Küchenschwämme und -tücher, Flüssigseifen, Textilien und Kosmetika tragen hoch umweltgiftige Silberionen ins Abwasser ein. Silber kann nicht weiter zersetzt werden, es reichert sich im Sediment natürlicher Gewässer an und kann bei Schwankungen des Säuregehalts von Gewässern auch plötzlich in giftigen Mengen wieder freigesetzt werden. Der im Haushalt stets niedrig dosierte Einsatz fördert zudem die Entwicklung resistenter Keime. Dies gefährdet wiederum den sinnvollen Einsatz von Silberanwendungen im Gesundheitswesen, z. B. bei Kathetern und Wundauflagen.
Hygienespüler zur Wäschedesinfektion enthalten zumeist Benzalkoniumchlorid (BAC) und Didecyldimethylammoniumchlorid (DDAC) aus der Gruppe der Quaternären Ammonium-Verbindungen (QAV). Sie werden aber auch in einigen Reinigern, Hygienetüchern und Flüssigseifen verwendet.
Sie sind ebenfalls sehr giftig für Fische und andere Wasserlebewesen, welche für die Gewässerreinigung verantwortlich sind. Wegen ihrer mangelhaften Abbaubarkeit finden sie sich im Klärschlamm und in Sedimenten wieder, wie auch Untersuchungen des Umweltbundesamtes in österreichischen Flüssen gezeigt haben. Zudem scheint die Langzeitexposition von Mikroben in der Umwelt auch deren Resistenz gegenüber klinisch relevanten Antibiotika zu verstärken. Diese erheblichen Anwendungsrisiken sind mit einem geringen bzw. fraglichen Nutzen verknüpft. So ist eine Desinfektion von Wäsche nur dann begründet, wenn diese – z. B. durch eine vorliegende (Pilz)Infektion - bereits kontaminiert wurde und nicht mit 60° C gewaschen werden kann.
Handlungsbedarf bei Hygienespülern
Die häufige Verwendung von Hygienespülern kann zudem auch gesundheitliche Probleme nach sich ziehen. DDAC und BAC ziehen beim Waschen nämlich auf die Kleidungsfaser auf und verbleiben dort. Das Tragen der Kleidung führt zu einer direkten Belastung der schützenden Bakterien in unserer natürlichen Hautflora und darüber hinaus zu einer indirekten Belastung des Wohnumfeldes. So fanden sich etwa in Hausstaub sowie in den Lüftungskanälen von Schulen, überraschend hohe Mengen an diesen Wirkstoffen. Es wird vermutet, dass der Staub von emittierten Stofffasern aus der „hygienisch“ reinen Kleidung stammt. Dies ist auch deshalb bedenklich, weil Untersuchungen dieser Chemikalien auch schwach allergene Eigenschaften aufgedeckt haben.
Die Wiener Umweltanwältin, Dr. Andrea Schnattinger sieht deshalb dringenden Handlungsbedarf. „Hygienespüler und Flächendesinfektionsmittel sollten künftig nur mehr in Apotheken erhältlich sein, um durch Fachberatung eine sachgemäße, wirksame und der Situation angemessene Verwendung sicherzustellen“, so Schnattinger. Die Wiener Umweltanwaltschaft fordert ebenso, die Packungsgrößen dem tatsächlichen, kurzfristigen Bedarf anzupassen und zu reduzieren. Auf dem Etikett oder im Rahmen eines Beipacktextes sollte künftig über sinnvolle Anwendungen informiert und vor rein präventivem Einsatz gewarnt werden. Im Rahmen der gerade in Umsetzung befindlichen Neuzulassung von bioziden Wirkstoffen und Produkten kann Österreich auf EU-Ebene solche Beschränkungen des Verkaufs bewirken. Auch ein nationaler Alleingang Österreichs wäre juristisch denkbar.
DI Marion Jaros von der Wiener Umweltanwaltschaft ergänzt: „Aktuelle Verkaufszahlen würden eine Abschätzung konkreter Umweltschäden wesentlich verbessern und somit auch rasche, gesetzliche Schutzmaßnahmen für Umwelt und Gesundheit deutlich erleichtern“. Jedoch hält sich der Handel bisher bei Verkaufsmengen bedeckt. Wir fordern deshalb, dass im Rahmen der Zulassung von Biozidprodukten – so wie es bei Pestiziden längst der Fall ist – auch Daten zu den jährlichen Verkaufsmengen gemeldet werden müssen. Zugleich laden wir die Nachhaltigkeitsabteilungen großer Handelsketten dazu ein, in einer GEMEINSAMEN Aktion - nach dem Vorbild der großen dänischen Handelskette COOP – Produkte mit problematischen Wirkstoffen rasch aus dem Sortiment zu entfernen.
Mehr Informationen:
Studie „Desinfektion im Haushalt – Nutzen und Risiken von desinfizierenden Haushaltsprodukten“, Dr. Manfred Klade im Auftrag der WUA