Auch 39 Jahre nach der schrecklichen Nuklearkatastrophe kommt Tschernobyl nicht zur Ruhe. Der havarierte Reaktor wurde ursprünglich zum Schutz vor Strahlungsaustritt mit einem Sarkophag aus Stahlbeton verschlossen. Diese Schutzhülle wurde jedoch Anfang 2025 im Zuge russischer Drohnenangriffe massiv beschädigt. Ein Strahlungsaustritt konnte nur mit Glück verhindert werden.

Auch abseits des militärischen Konflikts kann sich Europa dem russischen Einfluss im Nuklearsektor nicht entziehen. Vor allem in Osteuropa werden einige AKWs mit russischem Design betrieben. Im Bereich der Brennstoffbereitstellung erweist es sich aufgrund der Designspezifika als schwierig, russische Produkte zu substituieren. Dennoch gibt es Bestrebungen einiger europäischer Länder, auf amerikanische oder französische Brennstäbe umzusteigen.

Über die Schwierigkeiten, die mit diesem Unterfangen verbunden sind, hat Patricia Lorenz (Friends of the Earth Europe) im Auftrag der WUA einen Bericht verfasst. Da viele Länder nach der russischen Invasion veranschlagt hatten, bis 2025 von Rosatom abzurücken, kommt der Bericht in erster Instanz zu dem Schluss, dass dieser Zeitrahmen nicht realistisch war. In manchen Ländern (z. B. Finnland, Ukraine) werden zwar aktuell Prototypen für Brennstäbe, die in VVER-440-Reaktoren eingesetzt werden können, getestet, aber eine vollständige Abkehr von Rosatom wird frühestens in einigen Jahren möglich sein. Darüber hinaus sind viele andere Staaten erst dabei, Abkommen mit Frankreich bzw. den USA auszuhandeln.

Tschernobyl Hülle KleinEin zentrales Thema des Berichts ist die geplante Produktion von VVER-Brennstoff durch ein Subunternehmen von Framatome (Frankreich) in der Brennstofffabrik Lingen (Deutschland). Hier soll eine Brennstoffversorgung für die 19 VVER-Reaktoren in fünf EU-Mitgliedstaaten etabliert werden, um die Abhängigkeit von russischen Importen zu reduzieren. Das Problem dabei ist, dass Framatome für dieses Unterfangen auf Know-how und Lizenzen von Rosatom angewiesen ist. Deshalb besitzt Rosatom indirekt 25 % dieses Unternehmens. Dies ist ein Umstand, der in Deutschland sehr umstritten ist. Daher steht die Genehmigung für diese Produktionsstätte noch aus. Die zuständige Behörde, das Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz Niedersachsen, bereitet derzeit die Entscheidung vor. Es wird allerdings erwartet, dass sowohl das niedersächsische Ministerium als auch das Bundesministerium für Umwelt alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen werden, um die Genehmigung zu verweigern.

Der Bericht diskutiert auch die sicherheitstechnischen Risiken, die mit der Kooperation zwischen Framatome und Rosatom verbunden sind. Es wird darauf hingewiesen, dass die Zusammenarbeit potenziell zu einer Beeinflussung sicherheitsrelevanter Entscheidungen führen und dass die Anlage ein Ziel für Sabotage sein könnte.

Die WUA positioniert sich gegen das Vorhaben in Lingen, da aus geopolitischer Sicht Russland kein stabiler Partner ist und somit eine realistische Gefahr der Kompromittierung von Sicherheitsstandards besteht.

Russian Grip on EU Nuclear Power (Patricia Lorenz)

© Bild: WikiCommons

TPL_WUA_ADDITIONAL_INFORMATION