Wirtschaftliche Folgen
Neben sozialen und gesundheitlichen Folgen beeinträchtigte der Unfall die wirtschaftliche Produktion in vielen Regionen der Ukraine, Weißrusslands und der Russischen Föderation. Das vorerst notwendige Abstellen der gesamten Reaktoranlage verursachte starke Einbußen in der Stromherstellung. Durch die radioaktive Verstrahlung von Feldern, Wäldern und Gewässern verzeichneten Landwirtschaft und Industrie in allen drei Staaten signifikante Produktionsausfälle. Für 5.120 Quadratkilometer Agrarland und 4.920 Quadratkilometer Forstgebiet wurde die wirtschaftliche Nutzung eingeschränkt.
Durch die Evakuierungsmaßnahmen mussten zusätzliche Gebäude errichtet werden. Zwischen 1986 und 1987 wurden 23.000 Häuser gebaut. Den insgesamt 116.000 umgesiedelten Menschen wurden 15.000 Wohnungen zur Verfügung gestellt. 800 zusätzliche Gebäude für soziale Einrichtungen, wie Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser und Polizeistationen wurden errichtet. Für die evakuierte Bevölkerung der Satellitenstadt Pripjat wurde eine neue Stadt, Slavutych, gegründet.
Die wirtschaftlichen und finanziellen Hilfsmaßnahmen der Regierungen in den kontaminierten Gebieten waren in erster Linie konzentriert auf:
- Gesundheitliche Untersuchung und Versorgung der Bevölkerung
- Versorgung der evakuierten Menschen
- Säuberung der verstrahlten Regionen
- Wiederaufbau von Wirtschaft und Industrie
- Materielle und finanzielle Entschädigung von Individuen und Unternehmen
Gesundheitliche Folgen
Der Unfall von Tschernobyl hatte verschiedenartige Folgen für die Gesundheit der Bevölkerungen der Ukraine, Südrusslands und Weißrusslands. Man kann zwischen drei Arten von Gesundheitsschäden unterscheiden:
Akute Schäden
Akute Schäden betrafen ausschließlich das Personal des Kernkraftwerkes und die aus der Umgebung heran gerufenen Feuerwehrmänner. Nach offiziellen Angaben starben 31 Arbeiter an den direkten Folgen des Nuklearunfalls. Bei 237 wurden akute Verstrahlungssymptome nachgewiesen. Sie wurden innerhalb von 24 Stunden in einem Krankenhaus behandelt.
Beim Bauen einer Betonschutzhülle (Sarkophag) um den Unfallreaktor entstanden ebenfalls akute Gesundheitsschäden. 700.000 Arbeiter/innen und Soldaten (so genannte Liquidatoren) wurden bei den Arbeiten in diesem hochradioaktiven Umfeld sehr stark verstrahlt. Mangels Messgeräten war die akkumulierte Dosisbelastung dieser Menschen häufig nicht zu erfassen. In der öffentlichen Diskussion wird davon ausgegangen, dass zirka 100.000 der etwa 600.000 Einsatzkräfte schwere Spätfolgen, manche davon sogar mit Todesfolge, erlitten haben.
Spätfolgen
Radioaktive Strahlung kann auch bei kleinen (und natürlichen) Dosen zu Veränderungen im Zellkern führen. Diese sterben ab oder vermehren sich ungebremst (Tumorbildung). Aufgrund der langen Entwicklungszeit von Krebserkrankungen beziehen sich die direkt messbaren Folgen zunächst auf die Erkrankungen an Schilddrüsenkrebs bei Kindern (so genannte Tschernobylkinder). Bis 1997 entwickelten sich zirka 900 Schilddrüsentumore in den am meisten radioaktiv belasteten Gebieten. Die Anzahl wird insgesamt auf etwa 1.500 ansteigen, wenn alle Kinder berücksichtigt werden, die zur Zeit des Unfalls bereits geboren waren. Der Schilddrüsenkrebs wurde durch erhöhte Belastung der Schilddrüsen mit radioaktivem Jod (vorwiegend I131) verursacht. Jod131 hat eine relativ kurze Halbwertszeit von neun Tagen. Daher wirkt es nur in der unmittelbaren Zeit nach dem Unfall. So konnte die Zahl der Opfer durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und lokale Behörden gut dokumentiert werden. Dank internationaler Hilfsprogramme konnte in den meisten Fällen das Leben der von Schilddrüsenkrebs betroffenen Kinder gerettet werden. Auch Österreich, besonders das Wiener Sankt Anna Kinderspital, hat sich an diesen Programmen beteiligt.
Zu weiteren längerfristigen Spätfolgen gehören auch andere Krebserkrankungen, wie zum Beispiel Leukämie. Aufgrund der langen Latenzzeit (die Krankheit ist vorhanden, tritt aber noch nicht in Erscheinung) gibt es bisher jedoch keine exakten Zahlen. Eine statistische Häufung dieser Erkrankungen konnte im Gegensatz zu Schilddrüsenerkrankungen nicht festgestellt werden. Weiterhin können Erbgutveränderungen (Mutationen) durch Bestrahlung hervorgerufen werden. In Extremfällen treten die Schäden als körperliche und geistige Behinderungen in den nachfolgenden Generationen auf. Ein direkter Zusammenhang mit den radiologischen Folgen des Unfalls von Tschernobyl lässt sich nur schwer herstellen. Zahlreiche Chemikalien (zum Beispiel bestimmte Lebensmittelfarbstoffe) können Erbgutveränderungen herbeiführen. Für Menschen in belasteten Gebieten besteht die Gefahr, genetische Defekte über mehrere Generationen zu akkumulieren.
Psychologische Folgen
Den Bürger/innen wurde Tschernobyl immer als absolut unfallsicher dargestellt. Die Ursache für psychische Erkrankungen zeigte sich vor allem in einem verstärkten Misstrauen der Bevölkerung gegenüber der Regierung und den Politiker/innen. Die Bürger/innen fühlten sich nicht ausreichend über den Unfall und seine möglichen Folgen aufgeklärt. Ungewiss war, ob auch die Zivilbevölkerung von der entwichenen Strahlung betroffen war. Falls ja, war unklar, wo sich der betroffene Kreis befindet und wie viele davon betroffen sind. Der massive Vertrauensverlust wurde auch auf andere Bereiche in Politik und Gesellschaft übertragen.
Zusätzliche psychische Belastungen entstanden in der Folge der Umsiedelung der Bewohner/innen in der unmittelbaren Kraftwerksumgebung. Betroffen waren in erster Linie ältere Menschen. Sie können sich nur schwer an eine neue Umgebung gewöhnen.
Mit Sicherheit haben psychologische Folgen in Kombination mit Angst und Ungewissheit die Lebensqualität nachteilig beeinflusst. Es liegt in der Natur statistischer Phänomene, wie der durchschnittlichen radioaktiven Belastung, dass von der Wissenschaft nur sehr wenige Aussagen über den/die Einzelne/n getroffen werden können. Genau dies gestaltet sich als großes Problem für die Betroffenen.{glossarbot=disable}
Die Zone von Tschernobyl{glossarbot=enable}
Im Sommer 1986 wurden eine Kontrollzone mit einem Radius von 30 Kilometern sowie eine Sperrzone mit einem Radius von zehn Kilometer eingerichtet. Aus der Kontrollzone wurden alle Bewohner/innen evakuiert. Seither ist sie mit einem hohen Zaun abgesperrt. Der Zutritt ist nur mit einer Sondergenehmigung an bestimmten Kontrollpunkten möglich. Dieses Gebiet wird als "Zone" bezeichnet. Es erstreckt sich über 2.700 Quadratkilometer auf den Territorien der Ukraine und Weißrusslands. Die meiste Radioaktivität der Nuklearkatastrophe ist in der Zone niedergegangen. Außerhalb des Gebiets bestehen "heiße Stellen". Dort wurde durch ungünstige Witterungsbedingungen viel Radioaktivität deponiert. Stellen mit einer Belastung von mehr als 15, manchmal 40 Curie pro Quadratkilometer wurden in der Regel eingezäunt. Für die ehemaligen Bewohner/innen der Zone wurden neue Siedlungen errichtet. Die Einwohner/innen von Tschernobyl und Pripjat wurden in Vororten von Kiew und in der Region um Chernigov etwas östlich von der Sperrzone angesiedelt. Viele arbeiteten am Kraftwerk.
Die Zukunft der Zone
Die radiologische Situation in der Sperrzone und den stark belasteten Gebieten hat sich gegenüber 1986 deutlich verbessert. Einerseits liegt das am radioaktiven Zerfall der Strahler, deren Aktivität ständig abnimmt. Andererseits an der Ablagerung und dem Absinken der Radionuklide innerhalb des Erdbodens. Eine Deckung, vor allem aber eine Bindung, radioaktiver Partikel besteht. Im Inneren des Sarkophags werden an den meisten Stellen noch etwa 10 mSv/h gemessen. Im Zentralsaal und an den lavaartigen - inzwischen keramikartigen - erstarrten Massen unterhalb des ehemaligen Reaktors existieren jedoch noch "hot spots" durch ehemalige Brennstofffragmente. Sie emittieren eine Ortsdosisleistung von einigen Sv/h und mehr. Auf dem Dach des Zentralsaales liegt die Dosisleistung bei etwa 60 mSv/h. Zum Vergleich: Die natürliche Dosisleistung im Raum Wien beträgt etwa 0,1 Mikrosievert pro Stunde (µSv/h), also 60.000 Mal weniger.
Im dem Maße, wie die Strahlung in größeren Gebieten abnimmt, können diese wieder zunehmend genutzt werden.
Problematisch für viele Jahrzehnte wird sich die ursprüngliche landwirtschaftliche Verwendung gestalten. Durch Viehzucht und Nahrungsmittelanbau auf kontaminierten Böden gelangen Radionuklide in die menschliche Nahrungskette. Dies erzeugt eine zusätzliche Dosisbelastung. Teile der Sperrzone wurden bereits wieder freigegeben. Unkritische Werte wurden dort gemessen. In Zukunft soll die Sperrzone schrittweise und auf der Grundlage von Messungen verkleinert und wieder nutzbar gemacht werden. Es ist aber davon auszugehen, dass im Nahbereich des Kraftwerks von einigen Kilometern in absehbarer Zeit noch keine Wiederbesiedelung stattfindet.
Die Einteilung der belasteten Gebiete erfolgt in drei unterschiedliche Zonentypen. Gebiete mit einer Cäsium 137-Kontamination zwischen 37 und 555 Kilo-Becquerel (kBq) pro Quadratmeter fallen in die Zone eins. Hier bestehen keine radiologisch bedingten Einschränkungen für die Bevölkerung. Mit Zone zwei werden Gebiete mit 555 kBq pro Quadratmeter bis 1.480 kBq pro Quadratmeter bezeichnet. Hier erfolgt eine verstärkte Nahrungsmittelversorgung von außen. Für die Zone drei mit über 1.480 kBq pro Quadratmeter ist eine mittelfristige Umsiedlung angestrebt oder bereits durchgeführt. Gebiete des Typs drei gehören zur eigentlichen Sperrzone. Die Zonen unterliegen ständiger Veränderungen durch Wegzug von Menschen, Evakuierungsmaßnahmen oder auch Rekultivierung und Wiedernutzbarmachung.