Wien 2030 - Naturschutz
Wien wird in den nächsten Jahrzehnten zu einer Zweimillionen-Stadt wachsen!
Urbanität bietet jene Lebensqualität, die es ermöglicht, Ressourcen schonend zu leben, den Weg von der Effizienz zur Suffizienz zu finden und die kreatives Potenzial konzentriert. Als eine der lebenswertesten Städte der Welt hat Wien breiten Spielraum, auf die Fragen unserer Zeit originell und zukunftsweisend zu antworten.
Die WUA beschäftigt sich schon seit Jahren mit den Auswirkungen des Klimawandels auf urbane Gebiete und arbeitet intensiv an einem Zukunftsszenario zu „Wien 2030“. Schon im Jänner 2010 haben wir namhafte Expert/innen zu Zukunftsgesprächen „Wien 2030 – Coole Stadt am heißen Planeten“ eingeladen. Damals wurden in drei Diskussionsrunden zu den Themen „Urbane Evolution – Mensch und Grünraum 2030“; „Was bewegt – Energie und Mobilität 2030“; „Leben global – ein Wiener Beitrag zur weltweiten Fairness“, in konstruktiven Workshops die Grundlagen für die Fortführung unseres Projektes bestimmt. Nachdem wir die Ergebnisse dieser Gesprächsrunden aufgearbeitet und ergänzt haben, wurden die Konzepte, Ideen und Visionen ausführlich erörtert und abgeschlossen.
Nachstehend präsentieren wir die Zukunftsvisionen für den Bereich Naturschutz. Wir möchten darauf hinweisen, dass hier die Ergebnisse nur sehr verkürzt dargestellt werden können. Gerne stehen unsere Expert/innen für Detailinformationen zur Verfügung.
Kinder und Stadtnatur
Großzügige Grünräume für alle Nutzer/innen
Aufwertung der Innenhöfe
Gewässer in der Stadt
Landwirtschaft
Förderung der Artenvielfalt und innerstädtischer naturräumlicher Strukturen
Kinder und Stadtnatur
Stadtkinder haben im Alltag zu wenig Gelegenheit Erfahrungen mit der Natur zu machen. Ihre Erfahrungswelt wird zunehmend von künstlichen Faktoren dominiert. Von der Natur entfremdet, werden sie sich als Erwachsene nicht für die Erhaltung ihrer natürlichen Lebensgrundlagen einsetzen. Diesem Trend kann durch die Einrichtung von Naturerfahrungsräumen entgegengewirkt werden, die im dicht bebauten Stadtgebiet in Baulücken und in geeigneten Innenhöfen und Parkanlagen eingerichtet werden. Auf diesen fußläufig erreichbaren „Gstett’n-Abenteuerspielplätzen“ besteht für alle Kinder die Möglichkeit im Umgang mit Pflanzen, Tieren und natürlichen Materialien Erfahrungen zu sammeln. Bereits seit 1998 wird im Rahmen des von der Stadt Wien installierten Projekts „einfach – mehrfach“ die temporäre Nutzung von Freiräumen organisiert. Die hier gesammelten Erfahrungen bezüglich Haftung, Verwaltung und Gestaltung können eine wertvolle Grundlage für die Umsetzung von Naturerfahrungsräumen sein. Mittels eines Indikatorenkataloges könnten geeignete Baulücken identifiziert werden – nicht jede Baulücke ist als Naturerlebnisraum geeignet. Über die Nutzung von Feuermauern, unter anderem als Flächen als Werbeträger, könnten Einnahmen lukriert werden.
Großzügige Grünräume für alle Nutzer/innen
Die aufgrund des Platzmangels notwendige bauliche Separierung der verschiedenen Nutzergruppen vor allem im dicht bebauten Stadtgebiet ist unbefriedigend. Großzügig dimensionierte Grünräume bieten ausreichend Raum für alle Nutzer/innen. In den meisten öffentlichen Parkanlagen finden sich Wildnisecken, eine differenzierte Pflege ermöglicht Kräutersäume entlang von Gehölzen, Magerstandorte, offene Bodenflächen und Laubhaufen. Ausreichende Flächenverfügbarkeit und die entsprechenden finanziellen und personellen Ressourcen sind die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Grünraumpolitik. Auf diese Art wird auch Raum für ungestaltete Natur in Parks realisierbar sein. Parkbetreuer vermitteln zwischen den Nutzergruppen und bieten spezifische Programme zur Verbesserung der Kommunikation. Parkbesucher werden (auf freiwilliger Basis) in die Gestaltung und Betreuung der Anlagen mit einbezogen.
Aufwertung der Innenhöfe
Innenhöfe werden vielfach als Kfz- Stellplätze genutzt und aufgrund mangelnden Interesses der Eigentümer/innen unattraktiv gestaltet. Darüber hinaus ist der Innenbereich von Baublöcken oftmals in kleine, kaum nutzbare Höfe unterteilt. Verbundene Innenhöfe könnten im dicht bebauten Stadtgebiet grüne Oasen bilden, die auch für nicht Ansässige nutzbar sind. Derart attraktivierte Hofbereiche würden – zu „Grünen Routen“ durch die Stadt verbunden – eine bessere Durchwegung erlauben und damit Fußgänger/innen und Radfahrer/innen fördern. Begrünung und Entsiegelung können die Artenvielfalt erhöhen und zum Bodenschutz beitragen – Kleinklima und Naherholungsmöglichkeiten würden verbessert. Das größte Umsetzungspotenzial besteht beim Neubau. Für diesen Fall könnte von der Flächenwidmung ein öffentlicher Durchgang vorgesehen werden. Hilfreich wäre auch eine Einschränkung der Abstellmöglichkeit von Kfz in Innenhöfen. Private Hofflächen sollen erhalten bleiben, wenn sie von den Bewohner/innen genutzt werden, nur der Weg soll öffentlich nutzbar sein. Anrainer/innen müssen in einen partizipativen Planungsprozess einbezogen werden, um die ausreichende Berücksichtigung von Ruhe- und Sicherheitsbedürfnissen zu gewährleisten. Zur Zeit ist leider das Abschließen sowie Eingangs- und Durchgangsverbot bereits die Regel – sei es aus rechtlichen Gründen oder aus Sicherheitsbedürfnis. Eine Trendumkehr wäre im Sinne der Rückgewinnung öffentlichen (Grün)Raums wünschenswert.
Gewässer in der Stadt
Gewässer sind aus der Sicht des Naturschutzes grundsätzlich als Lebensraum zu sehen und für ihre Bewohner durchgängig nutzbar zu machen. Die Naturnähe soll erhöht werden, Arten- und Biotopschutz Vorrang haben. Verrohrte Gewässer sollen – wenn räumlich Möglichkeiten bestehen – geöffnet werden. Uferbegleitwege können attraktive Wegeverbindungen sein, wobei eine naturnahe Gestaltung die Biodiversität erhöht. Neue Gewässer verbessern das Kleinklima und können als Retentionsräume zumindest zum Teil harte Gewässerverbauungen für den Hochwasserschutz ersetzen.
Renaturierungs- und Neubauprojekte müssen in der Praxis mit anderen Vorhaben gekoppelt werden, um die Umsetzung zu ermöglichen. Ein Beispiel dafür ist der Liesingbachrückbau, der im Zuge des Ausbaues des Kanalnetzes erfolgte. Gewässerpatenschaften wären eine Chance, Betriebe in Wasserbauprojekte einzubinden. „Ökopunkte“ für Regenwassermanagement könnten im Rahmen einer „Ökologisierung“ der Kanalgebühr die oberflächige Versickerung von Niederschlagswässern begünstigen.
Landwirtschaft
Die Mechanisierung der Landwirtschaft hat auch in Wien in weiten Bereichen zu einer „Ausräumung“ der Agrarlandschaft geführt. Naturschutzfachlich wertvolle Strukturen sind vielfach verloren gegangen, gegen gesteuert wird durch den Vertragsnaturschutz (MA 22). Durch eine Nutzungsextensivierung von Flächen mittels extensiver Bewirtschaftung, Biolandbau, Brachen und Ackerrandstreifen können Lebensräume für bedrohte Arten geschaffen werden. Lesesteinhaufen, Lacken, Totholz, Trockenwiesen, Steinmauern, Streuobstwiesen, Raine, etc. müssen gezielt erhalten oder neu geschaffen und Mähwiesen und Offenstandorte unter Berücksichtigung von Naturschutzzielen bewirtschaftet werden. Wichtig ist die Vernetzung wertvoller Biotopflächen durch Hecken und Feldgehölze auf landwirtschaftlichen Flächen. Besonders dieser Schritt ist noch ausbaufähig. Werden Flächen der Sukzession überlassen, ist zusätzlich eine Erhöhung der Artenvielfalt zu erwarten. Von zentraler Bedeutung für die Erreichung dieser Ziele ist die Fortführung des Vertragsnaturschutzprogrammes der MA 22 – Umweltschutz. Die Ausweitung des Biologischen Landbaus auf alle landwirtschaftlichen Flächen auf Wiener Stadtgebiet wäre wünschenswert. Landwirtschaftliche Flächen der Stadt sollten nur noch bei biologischer Bewirtschaftung verpachtet werden. Zusätzliche Anreize zur Umstellung auf biologischen Acker- und Gartenbau für private landwirtschaftliche Betriebe sollen seitens der Stadt Wien gesetzt werden.
Selbsternteprojekte sind beliebt und ausbaufähig. Cityfarming ist ein Trend, bei dem sich Menschen auch im dicht bebauten Gebiet eigenes Gemüse und Kräuter anbauen. Neben einer Stärkung des Naturbezugs der Stadtbewohner/innen bedeutet diese Gartenbewegung eine Strukturierung von Grünflächen, von der auch zahlreiche Tierarten profitieren. Die Stadt Wien unterstützt Selbsternteprojekte und Cityfarming. Über Selbsternteprojekte in Kindergärten und Schulen könnten auch die Eltern erreicht werden. Zusätzlich würde die Auszeichnung vorbildlicher Maßnahmen zu weiteren Aktivitäten motivieren.
Förderung der Artenvielfalt und innerstädtischer naturräumlicher Strukturen
Sowohl die Erhaltung großer zusammenhängender Grünraume als auch ihre Vernetzung ist notwendig. In öffentlichem Grün sind Wildnisecken, Sukzessionsflächen, Bepflanzung die Artenvielfalt unterstützt sowie naturnahe Pflege, Bestandteil des Gesamtnetzes (Netzwerk Natur-ALSP). Die Einbeziehung von privaten Grünräumen durch Information und Förderung kann eine Umstrukturierung von „Rasen-Thujengärten“ zu standortgerechten – die Artenvielfalt unterstützenden Formen – bewirken. Übermäßige und unsachgemäße Außenbeleuchtung beeinträchtigt Menschen und Wildtiere. Durch blendfreie Außenbeleuchtung mit Full-Cut-Off-Leuchten, mäßige gebäudenahe Anstrahlung architektonisch wertvoller Bausubstanz und stark reduzierte Werbebeleuchtung ist ein angenehmes und sicheres Lichtklima in der Stadt herstellbar. Die Beeinträchtigung von Mensch und Tier könnte auf ein Minimum reduziert werden. Wildtiere werden allgemein als Bereicherung des städtischen Lebens empfunden. Moderne Bautechniken lassen aber wenig bis keinen Lebensraum für Wildtiere und bestehende Nistplätze werden bei Gebäudesanierungen zerstört. Nistmöglichkeiten für Gebäudebrüter und Fledermausquartiere müssen daher erhalten und neu geschaffen werden. Zur Verhinderung von Vogelanprall an Glasbauwerken ist Vogelschutzglas vorzuschreiben. Bei großen Bauprojekten sollten unbedingt Zoologen beigezogen werden.
© Fotos: M. Jaros, S. Brauner, W. Doppler, M. Pendl