Die bedrohte Vielfalt Wiens
Wien liegt am Schnittpunkt von drei Klimazonen (pannonisch, kontinental, alpin), bietet damit vielfältige Lebensräume und ist eine der artenreichsten Städte in Zentraleuropa (beheimatet > 50 % aller Arten Österreichs). Derzeit nennen 64 % der Tagfalterarten Österreichs Wien ihr Zuhause.
Doch die zunehmende Verbauung und Isolierung geeigneter Lebensräume voneinander (z. B. durch Straßen) sowie intensive Pflege von Grünflächen in der Stadt gefährden diese Vielfalt. Schmetterlingsbestände sind vor allem durch das Verschwinden Ihrer Raupenfutterpflanzen bedroht. Eine effektive Gegenmaßnahme, um die Biodiversität zu fördern, ist grüne Oasen für Wildtiere zu schaffen, wie z. B. begrünte Dächer, verwilderte Parks mit Naturwiesen, artenreich bepflanzte Balkone und Gärten. Aber wie kann ich als Bürger*in ohne Garten, Balkon und mit geringem Budget zur Steigerung der Artenvielfalt beitragen? Die Antwort lautet: Gemeinschaftsgarteln.
Gemeinschaftsgärten als Oasen in Betonwüsten
Gemeinschaftsgärten - sofern ökologisch (ohne Pestizide, Kunstdünger) gewirtschaftet wird - haben großes Potenzial zur Biodiversitätsförderung. Von Bürger*innen bepflanzbare Gemeinschafts-Hochbeete könnten auch auf bereits ökologisch wertlosen Plätzen (versiegelten Flächen, monotonen Rasenflächen) für Leben sorgen und eine wichtige „Tankstelle” für Insekten auf der Durchreise zu größeren Grünräumen darstellen. Solch grüne, blütenreiche Inseln in der Stadt können die lokale Bestäuber- und Wildbienenvielfalt erhalten, da sie als Rückzugsorte und Nahrungsquelle fungieren. Studien zeigen, dass beispielsweise 25 % aller Wiener Wildbienenarten in Gemeinschaftsgärten vorkommen können. Wildbienen und andere Bestäuber stellen wiederum eine wichtige Futterquelle für Vögel und Raubinsekten dar, Nachtfalter werden gerne von Fledermäusen gefressen. Auch andere Kleinsäuger, Reptilien und Amphibien können von Gemeinschaftsgärten im städtischen Umfeld je nach Ausstattung profitieren. Zudem können Gemeinschaftsgärten die sommerliche Hitze abpuffern und eine nachhaltige Quelle von regionalen Lebensmitteln darstellen. Hierbei sind Wildbienen auch gerne behilflich; sie steigern wie Schmetterlinge, Käfer, Schwebfliegen und Co durch ihre eifrige Bestäubungsleistung den Ertrag vieler Obst- und Gemüsepflanzen.
Was nützt und schützt?
Vorteilhaft für die Diversität von Bestäubern sind beispielsweise heimische Sträucher (z. B. Dornen- und Beerensträucher), blühende Obst- und Gemüsepflanzen und Wildblumen, welchen Pollen und Nektar bereitstellen. Doch nicht alle Blütenpflanzen sind gleichwertig, denn heimische und insbesondere mehrjährige Wildpflanzen fördern die Biodiversität besonders, während Zierpflanzen mit gefüllten Blüten wenig geeignet sind. Besondere Leckerbissen für Schmetterlingskinder sind z. B. Brennnessel, Brombeere, Vertreter der Rosengewächse (z. B. Gattung Prunus wie Schlehdorn, Steinweichsel, etc.), Löwenzahn, Klee- und Ampferarten. Viele samen- und früchtetragende Wildpflanzen machen auch die Vogelwelt glücklich. Durch das gezielte Ansetzen von Früh- und Spätblühern können Bestäuber die gesamte Vegetationsperiode hindurch satt werden. Beispiele für Frühblüher sind Huflattich, Veilchenarten, Lauch- und Zwiebelartige, Kornelkirsche, Lerchensporn-Arten, Krokusse und Traubenhyazinthen. Während des Sommers blühen bis teils in den Herbst beispielsweise gewöhnlicher Natternkopf, Wiesen-Flockenblume, echter Salbei, Wiesen-Schafgarbe, Saat-Esparsette und wilde Malve. Beispiele für Spätblüher sind Efeu, gemeine Wegwarte, kleines Habichtskraut und diverse Glockenblumenarten. Manche Arten blühen sowohl relativ früh im Jahr als auch spät im Herbst, z.B. die purpurrote Taubnessel, weiße Lichtnelke, Karthäuser-Nelke etc. Eine Liste mit Beispielen förderlicher Pflanzenarten bietet “Naturimgarten” sowie die Bioforschung Austria im SYM:BIO Leitfaden. Wer beim Anbau nach standortangepassten Pflanzenarten sucht, wird beim REWISA-Netzwerk fündig, wobei je nach Standort und Verwendungszweck individuelle Mischungen zusammengestellt werden.
Über den Winter stehen gelassene Stängel, Strukturen wie Stein- und Totholzhaufen, Totholzhecken oder unverfugte Mauern als Beetbegrenzung sowie gezielt angelegte sandige und offene Bodenstellen bieten 1A-Wohnmöglichkeiten für unsere summenden Freunde. Bei der Pflege gilt: Weniger ist mehr!
Wie kann ich mich bei Gemeinschaftsgärten beteiligen?
Wiener*innen ohne eigenen Garten oder Balkon können bei Gemeinschafts- oder Nachbarschaftsgärten mitmachen. Eine Übersicht über Beteiligungsmöglichkeiten je nach Bezirk sowie Kontaktmöglichkeiten mit den jeweiligen Betreuer*innen liefert die Plattform „Garteln in Wien” der Bioforschung Austria.
Auch kahle Baumscheiben können mehr - eine artenreiche Bepflanzung durch Bürger*innen ist im Rahmen der von der Gebietsbetreuung Stadterneuerung und den Wiener Stadtgärten (MA 42) betreuten Initiative „Garteln ums Eck” möglich.
Weitere Möglichkeiten, seiner gärtnerischen Passion in der Großstadt Wien nachzugehen, finden Sie hier: https://www.garteln-in-wien.at/selbst-garteln/.
Oft gibt es kostengünstige Möglichkeiten, wertvolle Wildpflanzen aufzutreiben, z. B. Samen in geringen Mengen absammeln (NICHT in Schutzgebieten oder von streng geschützten Arten!), bei Pflanzen- und Samentauschbörsen erwerben oder über Ausläufer vermehren.
Weitere Informationen:
- “Natur ist genau meins.Tipps für meine persönliche Grünoase” (WUA)
- Was im Frühjahr im Garten zu tun ist (WUA)
Quellen:
- Filazzola et al. (2019). The contribution of constructed green infrastructure to urban biodiversity: A synthesis and meta-analysis.
- HÖTTINGER, H., PENDL, M., WIEMERS, M. & POSPISIL, A. 2013: Insekten in Wien – Tagfalter. In: ZETTEL, H., GAAL-HASZLER, S., RABITSCH, W. & CHRISTIAN, E. (Hrsg.): Insekten in Wien. – Österreichische Gesellschaft für Entomofaunistik, Wien, 349 pp.
© Fotos: Ramona Cech