Am 1. März 2023 luden WUA, Ökosoziales Forum Wien und weitere Stakeholder zum Workshop „Naturvermittlung in der Stadt“ in die Wiener Hauptbücherei am Gürtel. Bei einem angeschlossenen „Marktplatz der Möglichkeiten“ stellten sich zudem 19 wichtige Organisationen vor, welche im Bereich der Naturvermittlung erfolgreich tätig sind.

naturvermittlungstag1 kleinEngagierte Naturvermittler*innen wie Josef Mikocki von der Stadt Wien - Umweltschutz, Robert Nehfort von der Pädagogischen Hochschule Burgenland sowie unsere Umweltanwältin Iris Tichelmann und Kollegin Marion Jaros boten Einblick in ihren Erfahrungsschatz und den daraus destillierten Erkenntnissen. Ausführliche Fragerunden und der nachmittägliche Workshop-Teil boten reichlich Zeit für die rege Diskussion mit dem spannenden Publikum. Der lebendige Austausch an diesem ausgefüllten Tag hat auch uns selbst neu inspiriert. So möchten wir hier einige der neu gewonnenen Erkenntnisse gerne mit Ihnen, liebe Leser*innen, teilen.

Kinder verbringen heute durchschnittlich mehr als 50 Wochenstunden vor elektronischen Geräten. Das Handy in ihrer Hosentasche stellt ihnen zudem auf Knopfdruck Milliarden von Fakten zur Verfügung. In so einer Zeit hat Bildung als reine Wissensvermittlung ausgedient. Bildung im besten Sinne war immer schon eine Begleitung bei der eigenständigen Erarbeitung von Wissen und Weltverständnis.

Heute muss jedoch umso mehr darüber nachgedacht werden, was die digitale Welt unseren Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen nicht vermitteln kann, um sich genau auf diese Lücken zu fokussieren und sie in den Köpfen und Herzen zu füllen. Eine gerade erst publizierte Studie über die schlechte psychische Gesundheit der Wiener Bevölkerung, insbesondere junger Menschen, nach der Pandemie, ist eine weitere Bestätigung, wie negativ sich das Fehlen von realen Begegnungen auf uns auswirkt.

Gelingende Weltbeziehung statt abstrakte Wissensvermittlung

Laut dem deutschen Soziologen Harmut Rosa, auf dessen wissenschaftliche Arbeiten gleich zwei Vortragende eingingen, ist das „entscheidende Kriterium für Bildungserfolg das Gelingen der Beziehung zwischen Subjekt und Welt“. Gelungen ist dies, wenn sich Menschen neugierig neuen Weltausschnitten öffnen und dadurch ihren eigenen Horizont stetig erweitern. So erfahren sowohl sie selbst als auch der von ihnen „anverwandelte“ Weltausschnitt eine fruchtbare Veränderung. Rosa nennt dies „Resonanz“.

Bildung bedeutet in seinem Sinne also, sich als ganzer Mensch berühren zu lassen vom Sosein der Welt und in eine lebendige Antwortbeziehung mit Menschen, Tieren, Natur und Tätigkeiten zu treten.

naturvermittlungstag2 kleinDas Eingehen von BEZIEHUNGEN mit der „Welt um uns“ hat in einer Kindheit und Jugend voller Erfahrungen aus zweiter Hand, die häufig mehr den Status eines (Medien)Konsums denn eines lebendigen Austausches haben, eine zentrale Bedeutung.

Denn nichts erfüllt unser Leben tiefer als lebendige, für beide Seiten fruchtbringende Beziehungen mit anderen Lebewesen. Und hier kommt auch der Vermittlung bewegender Naturerlebnisse eine immens wichtige Rolle zu. Der zarte Flügelschlag eines bunten Schmetterlings, der vom eigenen Finger Honigwasser trinkt, kann durch kein abstraktes Faktenwissen ersetzt werden. Erst solche Momente lassen uns erahnen, was es bedeutet, lebendig zu sein und sich die Welt um uns nicht nur als Ressource verfügbar zu machen, sondern in sie einzutauchen und ihr mit allen Sinnen zu begegnen.

Bewegende Schlüsselmomente als Wendepunkte im Leben

Unsere Kollegin Marion Jaros hat 2018 eine kleine Sammlung solcher Schlüsselmomente von Menschen erstellt, welche sich nicht zuletzt durch diese Momente der Inspiration mit Herzblut für den achtsameren Umgang mit Natur und Mensch einsetzen. Diese Sammlung von über 40 Einzelgeschichten zeigt eindrucksvoll, dass manchmal selbst kurze Begegnungen mit Tieren, der unbändigen Kraft oder Zartheit der Natur oder mit feinfühligen Menschen eine wesentliche Neuorientierung im eigenen Leben initiieren können. Über mehrere Schritte können sie in aktives Engagement für ein „gutes Leben für alle“ münden.

Gerade heute, in einer Zeit multipler Krisen, brauchen wir solche Menschen wie einen Bissen Brot. Naturvermittlung, welche neben der Wissensvermittlung auf Berührung, lebendige Begegnungen und das Eingehen vertrauensvoller Beziehungen fokussiert, hat deshalb einen unschätzbaren Wert in unserer Gesellschaft.

Sie sollte kein „Nice to have“ für besonders Interessierte sein, sondern selbstverständlicher Teil jeden Lebenslaufes werden, vom Kindergartenkind bis zu Pensionist*innen. Insbesondere aber in Schulen muss der dislozierte Unterricht in der Natur selbstverständlich werden und ebenso selbstverständlich finanziert sein.

Die Angebote Wiens und der WUA

naturvermittlungstag3 kleinDer angeschlossene „Marktplatz der Möglichkeiten“ zeigte zudem eindrucksvoll, dass Wien über Top-Bildungsangebote für Naturvermittler*innen verfügt und bereits hochmotivierte und bestausgebildete Absolvent*innen zur Verfügung stehen. Auch Orte großer Struktur- und Artenvielfalt kann Wien bieten, denn was wenige Wiener*innen wissen: Ein Drittel der Wiener Fläche fallen in unterschiedliche Schutzkategorien von Landschaft und Natur.

Wichtig wäre aber zugleich, das innerstädtische Angebot an naturnahen Flächen, die zum Forschen und Entdecken einladen, deutlich zu erhöhen, wie auch die Möglichkeiten von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, Räume in ihrer Wohnumgebung naturnah gestalten zu dürfen. Dies stärkt nicht nur die Selbstwirksamkeit und Resilienz des handelnden Individuums, sondern auch die unserer schönen Stadt.

Wir als WUA fühlen uns nach diesem Tag zutiefst darin bestärkt, seit Jahrzehnten einen Schwerpunkt in der Umweltpädagogik gesetzt zu haben und weiterhin zu forcieren. Die langjährige Finanzierung von Workshops mit den Umweltspürnasen, zahlreiche Naturexkursionen unseres Teams für Erwachsene, das preisgekrönte Schmetterlingsprojekt Vanessa und das Schulprojekt „Wildnis ist Klasse“, welches auch die Qualität der Schulhöfe verbessert, bieten jährlich tausenden kleinen und großen Wiener*innen Möglichkeiten, ihre Beziehung zur Natur zu stärken und sich für unsere Lebensgrundlagen vor Ort bewusster zu engagieren. Für weitere gute Ideen und Partnerschaften sind wir offen.

© Fotos: Bild 1: Ökosoziales Forum Wien, Bild 2 und 3: Marion Jaros

 

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