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Allgemeines 

Der Standort Cernavoda liegt etwa 150 km östlich von Bukarest an einem Knick des Unterlaufs der Donau, kurz vor ihrer Einmündung in das Schwarze Meer und ist gegenwärtig der einzige KKW-Standort in Rumänien. Die Entscheidung für die Errichtung von kanadischen CANDU-Reaktoren wurde 1979 gefasst und ist als Versuch der Unabhängigkeit des Landes - auch von der Sowjetunion - zu verstehen. Die entsprechenden Verträge zwischen dem Rumänischen Energieversorger ROMENERGO und dem Anlagenbauer AECL (Atomic Energy of Canada Ltd) wurden 1981 geschlossen. Ursprünglich wurden 5 Blöcke mit je 700 MW elektrischer Leistung konzipiert. Mit dem Ende des Ceausescu-Regimes kamen die Bauarbeiten mangels Finanzierung und aufgrund größerer Probleme im Land aber völlig zum erliegen. Mit großer Verzögerung konnte im Jahr 1996 der erste Block in Betrieb genommen werden. Am 17. April 1996 wurde Block 1 zum ersten Mal kritisch. Am 11. Juli des selben Jahres erfolgte die erste Netzsynchronisation.

In weiterer Folge konzentrierte man die chronisch knappen Finanzmittel auf den nach Block 1 am weitesten fertig gestellten Block 2 und verabschiedete sich vom nur angelegten Block 5. Der Block 2 am Standort wurde am 6. Mai 2007 zum ersten Mal kritisch und lieferte am 7. August 2007 erstmals Strom ins Netz.
Die Blöcke 3 und 4 sind teilweise in Konservierung und haben einen langsamen Baufortschritt, sollen aber auch bis etwa 2013 bzw. 2014 komplettiert werden. Der „Campus Cernavoda“ wie die Anlage in Rumänien gerne bezeichnet wird, würde dann etwa 40 % des rumänischen Stroms liefern (Ende 2007 waren es mit den Blöcken 1 und 2 knapp 20 %).

In Cernavoda befinden sich die einzigen CANDU-Reaktoren Europas. Anlagen dieses Typs zeichnen sich durch ein relativ hohes Sicherheitsniveau, durch ein im Vergleich zu anderen Anlagen aufwändigeres Design und technische Besonderheiten aus. Es handelt sich dabei um schwerwassergekühlte, schwerwassermoderierte Druckröhrenreaktoren, die mit nicht oder nur schwach angereichertem (Natur-)Uran betrieben werden können. Schwerwasserreaktoren im allgemeinen und CANDU-Reaktoren im Besonderen stehen in einem gewissen Naheverhältnis zur nicht zivilen Nutzung der Kernenergie. Fast alle so genannten nuklearen Schwellenländer oder solche, die die Schwelle zu Kernwaffenstaaten bereits überschritten haben, betreiben Schwerwasserreaktoren. Dazu gehören unter anderem Indien, Pakistan und Argentinien.
CANDU-Reaktoren weisen eine im Vergleich zu den sonst in der Einflusssphäre des ehemaligen Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe errichteten WWER-Reaktoren einen Sicherheitsstandard auf der mit den gängigen europäischen Sicherheitsvorstellungen kompatibel ist, da es sich um ein kanadisches Fabrikat handelt.

Gegenwärtig wirdCernavoda von der SNN betrieben, einem Unternehmen, welches zu fast 90 % im Staatsbesitz von Rumänien ist. Seit 1980 produziertNuclearelectrica – SA als FCNPitesti durch ein Joint Venture mit AECL auch den Brennstoff fürCernavoda. Durch geringes Investment konnte die Kapazität kürzlich soweit erhöht werden, dass nun auch für Block 2 Brennstoffbündel produziert werden können.


Wichtige Zahlen im Überblick

 ReaktortypLeistung
(MW elektrisch)
FertigstellungBetriebsende
Block 1 CANDU-6 (700) 6511 (706)2 11.07.1996 2036
Block 2 CANDU-6 (700) 6511 (706)2 07.08.2007 offen
Block 3 CANDU-6 (700) 6511 (706)2 Bau eingestellt  
Block 4 CANDU-6 (700) 6511 (706)2 Bau eingestellt  
Block 5 CANDU-6 (700) 6511 (706)2 Bau eingestellt  

1Nettoleistung ohne Eigenbedarf
2Bruttoerzeugung inklusive Eigenbedarf

  • Entfernung von Wien (Luftlinie): Zirka 900 Kilometer
  • Anteil der Anlage an der Stromerzeugung in Rumänien (Blöcke 1, 2): Zirka 18,98 Prozent (2011)
  • Anteil der Stromerzeugung aus Kernenergie in Rumänien: Zirka 18,98 Prozent (11,75 TWh 2011)
  • Energieeinspeisung seit Inbetriebnahme: 100,28 TWh (Stand 31.12.2011)
  • Jahresstromerzeugung der Anlage: 11,75 Milliarden kWh (2011)
  • Jahresstromerzeugung in Rumänien: 61,89 TWh (2011)

Bisherige schwere Stör- und Zwischenfälle

Bisher sind keine schweren Stör- oder Zwischenfälle in Cernavoda bekannt geworden.
Allerdings stieg die nachgewiesene Freisetzung von Tritium durch die Aufnahme des Betriebs von Block 1 gegenüber dem zuvor ermittelten natürlichen Niveau teilweise um den Faktor 50. Die Grenzwerte wurden jedoch eingehalten. Inzwischen konnten die Emissionen der Anlage verringert werden. Die – gegenüber anderen Reaktortypen - erhöhte Freisetzung von Tritium im Normalbetrieb ist in der Verwendung von schwerem Wasser als Moderator begründet und typisch fürCANDU-Reaktoren.


Position und Kritikpunkte der Wiener Umweltanwaltschaft

Position

Rumänien wird durch seinen erfolgten Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft zunehmend auch in den europäischen Energiemarkt eingebunden.

Die Wiener Umweltanwaltschaft sieht in der Kernenergie keine dauerhaft nachhaltige Option für die Stromgewinnung, jedoch kann die historische Entwicklung der rumänischen Kernenergie nicht unberücksichtigt bleiben, da hierdurch Ressourcen gebunden wurden und das gesamte Energiesystem des Landes darauf ausgerichtet ist. Im Hinblick auf die geplante Fertigstellung der Blöcke Cernavoda 3 und 4 muss eine ehrliche Prüfung alternativer Varianten im Rahmen des UVP- Verfahrens geprüft werden, die über die Behauptung eines anwachsenden Strombedarfs hinaus die Investition der zur Fertigstellung noch erforderlichen Mittel etwa im Vergleich zu Energieeffizienzmaßnahmen betrachtet. Auch die Bilanz an resultierenden konventionellen und radioaktiven Emissionen und Abfällen sowie die Betriebskosten und Folgekosten müssen in eine solche Analyse einbezogen werden.

Im Falle einer tatsächlich Fertigstellung der Blöcke 3 und 4, jedenfalls aber für die beiden bereits betriebenen Einheiten, muss eine den europäischem Standard entsprechende, hohe Anlagen- und Betriebssicherheit gewährleistet werden. Es sollten bereits jetzt Überlegungen aus dem Alterungsmanagement von anderer CANDU-Anlagen, etwa betreffend der notwendigen Serviceintervalle, der Komponentenauslegung und Wartung sowie der Dokumentation und deren finanzielle Bedeckung berücksichtigt werden. Die Argumentation, dass die Blöcke 3 und 4 zur Ersetzung von Kohlekraftwerken verwendet werden, scheint der WUA nur teilweise nachvollziehbar. Es drängt sich der Verdacht auf, dass tatsächlich inzwischen teurere Gaskraftwerke substituiert werden sollen, wodurch auch der probagierte Klimaschutzeffekt nur in sehr geringen Ausmaß gegeben wäre.

Technologisch bedingte Kritikpunkte

  • Technologisch bedingter positiver Dampfblasenkoeffizient bei CANDU-Reaktoren und damit erhöhtes Risiko für schwere Unfälle
  • Kompliziertes Steuer- und Kontrollsystem mit entsprechend hoher Fehleranfälligkeit
  • Starke Beanspruchung der horizontalen Druckröhren durch verschiedene Einflussfaktoren wie Korrosion, neutronen- und gammastrahlungsbedingte Versprödung, Temperatur- und Druckwechsel
  • Große räumliche Ausdehnung von CANDU-Reaktoren, damit verbunden schwierige Regelung und hoher Zirkoniumgehalt im Reaktor. Im Fall von Überhitzung oder einem Kernschmelzunfall kann Zirkonium als Katalysator zur Wasserstoffbildung fungieren, wodurch explosionsgefährliches Knallgas im Reaktor freigesetzt werden kann.
  • Das Lager für abgebrannte Brennelemente befindet sich außerhalb des Containments, daher ist der Containmentbereich durch relativ viele Verbindungen perforiert, was das Containmentkonzept unterläuft.
  • Das Containmentverhalten/Retentionsfähigkeit bei größeren Störfällen ist nicht genauer bekannt und wegen der komplizierten Technologie nur schwer zu simulieren.
  • Zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme der Blöcke 3 und 4 werden wesentliche Gebäudekonstruktionen aufgrund des langsamen Baufortschritts bereits 20 Jahre alt sein und stark verspätet in Betrieb genommen.
  • In Bezug auf Trinkwasser und Nahrungsmittel der Region werden im Vergleich zum europäischen Durchschnitt wenige Proben regelmäßig auf radiologische Belastungen untersucht. Hier sollte das Netz enger gestrickt werden.

Technische Spezifikationen und Sicherheitssysteme

Technische Spezifikationen

  

CANDU-6-Reaktoren werden weltweit von der AECL (Atomic Energy of Canada Ltd) gebaut und sind eines der Hochtechnologie-Exportprodukte von Kanada. Sie benötigen kein angereichertes Uran, da sie durch die Verwendung von schwerem Wasser (D2O) für Kühlung und Moderation sehr sparsam mit Neutronen wirtschaften. Der eigentliche Reaktor besteht aus einem liegenden zylinderförmigen Tank Calandria) mit 7,6 Meter Durchmesser und 7 Meter Länge. Zwischen den Stirnseiten verlaufen horizontale Brennstoffkanäle mit je ca. 10 Zentimeter Durchmesser. In ihnen befinden sich die Brennstoffbündel, die je 21,3 Kilogramm Urandioxid enthalten und ca. 0,5 Meter lang sind. Ein CANDU-6-Reaktor besitzt 380 Brennstoffkanäle mit je 12 Bündeln, somit befinden sich in einem beladenen Reaktor 4560 Brennstoffbündel. Die Calandria ist mit Schwerwasser gefüllt, dieses ist der Moderator zur Verlangsamung der Neutronen.
An beiden Stirnseiten derCalandria befinden sich vollautomatische computergesteuerte Lademaschinen, die bei Bedarf neue Brennstoffbündel in den Reaktor schieben, auf der Rückseite abgebrannten Kernbrennstoff entnehmen und zum Lager für abgebrannte Brennelemente befördern. Der Ladevorgang kann im Gegensatz zu den meisten kommerziell verwendeten Reaktoren auch während des Reaktorbetriebs erfolgen, was hohe Anlagenverfügbarkeit ermöglicht und die höheren Investitionskosten aufwiegt. Die automatisierte Brennstoff Be- und Endladung ist allerdings auf Grund ihrer Komplexität auch eine potenzielle Fehlerquelle dieses Reaktortyps.

Die CANDU-Technologie ist komplizierter als bei gewöhnlichen Leichtwasserreaktoren. Dies liegt unter anderem an:

  • getrennten Schwerwasserkreisläufen für den Moderator und das Kühlmittel, bei unterschiedlichen Temperaturen und Drücken
  • Schwerwasserchemie und Aufbereitung
  • Tritiumproduktion im Schwerwasser sowie notwendige Sicherheitsvorkehrungen und Abtrennvorrichtungen
  • Komplexe Mess- und Kontrolltechnik im Reaktor
  • Komplizierte Lade- und Entlademaschinen und Brennstoffhandling
  • Physikalische Reaktoreigenschaften, wie positiver Dampfblasenkoeffizient  

Sicherheitssysteme

Die Reaktoren Cernavoda Block 1 und 2 sind entsprechend dem Stand der CANDU-Technologie errichtet, wie sie zur Zeit der Konstruktion und des Baus dieser beiden Blöcke verwendet wurde. Ob für die gegenwärtig in Bau befindlichen Blöcke 3 und 4 eine verbesserte Technologie auch im Sicherheitsbereich eingesetzt werden soll, geht aus den veröffentlichten Unterlagen des Umweltverträglichkeitsberichts nicht zweifelsfrei hervor. Alle CANDU-Reaktoren verfügen über die gängigen Sicherheitseinrichtungen und -systeme auf dem Hintergrund der westlichen Nuklearsicherheitsphilosophie. Es bestehen unter anderem:

  • Volldruck-Stahlbeton-Containment mit Wasservorhaltungen für die Notkühlung
  • Not- und Nachkühlsysteme für den Reaktorkern, wobei nur das Hochdruck-Noteinspeisesysteme ECCS als passives System ausgeführt ist und auch bei völligem Energieausfall seine Funktion bewahrt
  • Gute Erdbebenqualifikation aller Gebäude und Anlagenteile für ein Auslegungsbebeben am Standort (0,2 g Horizontalbeschleunigung an der Erdoberfläche)
  • Notstromdiesel
  • Umweltmonitoring und besondere Prozeduren zur Tritiumretention
  • Entsprechende Notfallpläne

Verwendete Quellen und Links

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